Ein Insider!!

In den Trümmern

 

Feldmeister Juria Sermio führte ihren Trupp durch ein trümmerübersähtes Gebiet. Die Vorstadthubs und Fabrikationsanlagen der Makropole Batun hatten durch heftiges Artillerie-feuer und Bombeneinschläge schwer gelitten. Ihr Trupp gehörte seit heute Morgen zur 6. Kompanie, II: Bataillon der XVI. Legio der Batuner PVS. Sie waren ausschließlich Reservisten ohne jede Kampferfahrung. Juria arbeitete in einer Scola in der Kinderbetreuung. Das unterschied sich manchmal nicht sehr von der Truppführerei bei der PVS, dachte sie halbschmunzelnd. Ständig hatte irgendwer irgendwelche Probleme, beschwerte sich über was oder hatte ein Ausrüstungsteil verloren. Sie hatte vor 10 Jahren eine 3jährige Dienstzeit bei der Batuner PVS abgeleistet und dabei einen Unterführerlehrgang absolviert. Dazwischen hatte sie nur an wenigen Reserveübungen teilgenommen, da ihre Scolatätigkeit ihr die Möglichkeit gab, sich von den Übungen abzumelden. So hatte sie nie damit gerechnet noch aktiviert zu werden. Doch die Lage war wohl sehr ernst, dass man Leute wie sie in Uniform steckte und mit scharfen Waffen ausstattete.

 

Sie betrachtete ihren 10-Mann-Trupp. Da war Korporal Kiril Demez, ihr Stellvertreter, der eigentlich Hausmeister in einer großen Hubanlage war oder Lisa, die alle nur die fette Betty nannten. Sie war Köchin in einer heruntergekommenen Hubschenke in der Mittelmakropole und bediente das leichte Maschinengewehr des Trupps. Guro, ihr Schütze 2, ein Junge von kaum 17 Jahren war Bäckerlehrling und den tragbaren Raketenwerfer trug Minol, der wie ein Administratumsbeamter aussah und in Wirklichkeit einen Gemischtwarenladen irgendwo in der Vorstadt betrieb. Seine Munitionsträgerin war Ösia, die in einer Schlachterei arbeitete, Taon, Joal und Urri waren Fabrikarbeiter und die beiden letzteren hielten ihre Sturmgewehre wie große Schraubenschlüssel. Ihre Schießergebnisse waren lausig. Mirane bediente in einem kleinen Café in der Vorstadt. Sie war schon über 40 und hatte zwei erwachsene Kinder. Der einzige, der wohl was von seinem Handwerk verstand, war Tum, ihr Sanitäter, der im „normalen“ Leben Frater Hospitalis war. Warum er sich an die Front versetzen hat lassen, blieb sein Geheimnis. Juria wandte sich wieder ihrer Aufgabe zu.

 

Sie ließ den Trupp abknien und beobachtete die Trümmerlandschaft durch ihr Binocular. In der Luft lag ein ständiges Rauschen. Über ihre Köpfe flogen die Granaten der feindlichen Artillerie auf den Verteidigungswall und die Hubsiedlungen davor. Nur mit halbem Ohr hörte sie, wie Guro über seine zu engen Stiefel jammerte. Überall lagen Gesteinstrümmer von eingestürzten Hubs und Fabriken. Da und dort stand noch eine Wand oder ein Hauseck. Rauchgeschwärzte Fensteröffnungen blickten auf sie herab. Sie befahl Lisa und Miri die Fenster im Auge zu behalten. Sicher ist sicher. Die Sicht war durch den vielen Staub in der Luft nicht besonders gut. Hier hatten offensichtlich heftige Kämpfe stattgefunden. Sie sah Panzerwracks und andere zerstörte Gefechtsfahrzeuge. Eine halb im Dreck verschüttete Laserkanone streckte ihren verbogenen Lauf wie anklagend in die Luft. Jetzt stieg ihr auch Verwesungsgeruch trotz ihrer Atemmaske in die Nase und nun sah sie auch die vielen staubbedeckten Leichen. Hier hatten sich die Truppen des Südpakts und die Batuner PVS nichts geschenkt. Sie sah abgeschlagene Gliedmaßen und eingeschlagene Köpfe, von Sprengladungen zerrissene und von Panzern überrollte Körper. Doch wo waren die Truppen des Südpakts geblieben? Ihre Legio hatte vor 6 Stunden den Feindkontakt verloren, nachdem sie durch einen heftigen Angriff aus ihren Stellungen hier vertrieben worden waren. Doch der Feind stieß nicht nach. Darum hatte Juria, kaum dass sie sich mit ihrem neuen Trupp meldete, von ihrem neuen Feldkommandanten den Auftrag bekommen, den Feind zu suchen und zu melden. Zu diesem Zwecke trug Taon ein klobiges Funkgerät auf dem Rücken. Sie war sehr überrascht von ihrem Kompaniekommandanten sofort so einen Auftrag zu erhalten, doch als sie in die Gesichter der anderen Soldaten sah, wusste sie Bescheid. Die Männer und Frauen dieser Einheit waren physisch und psychisch am Ende. Viele waren verwundet, einige weinten still. Der Premiumleutnant war sehr jung, doch seine Augen wirkten unheimlich alt und müde. Von seiner Kompanie war nicht einmal ein Viertel noch einigermaßen einsatzfähig. Diese Truppe war durch die Hölle gegangen. Also ließ sie sich von dem Leutnant auf einem zerschlissenen Stadtplan in die Lage einweisen und den Auftrag genau erklären. Danach ging sie zu ihren Leuten und erklärte ihnen, was von ihnen verlangt wurde. Sie unterband sofort jedwedes Maulen, ließ die Ausrüstung ergänzen und scheuchte die Soldaten raus. Jetzt waren sie schon eine Stunde wie Hündchen hinter ihr hergelaufen und ahmten ihre Gangart nach. Wenigstens ein Anfang, dachte sie.

 

Sie hatten augenscheinlich die ursprüngliche Stellung der Legio erreicht, doch vom Feind war nichts zu sehen, zumindest nichts Lebendes. Sie winkte Taon zu sich, schaltete das Funkgerät ein und meldete dem Kommandanten ihre Beobachtungen. Dieser wies sie an, den Auftrag weiter fortzusetzen. Seufzend setzte sie sich und ihr Trupp wieder in Bewegung. Sie überquerten von Deckung zu Deckung springend das Trümmerfeld und versuchten dabei die stinkenden Leichen und die Millionen von Fliegen und anderen Aasfresser zu ignorieren, doch nicht nur einer ihrer Soldaten übergab sich heimlich. Juria konnte sich vorstellen, dass sie auch ganz grün im Gesicht war, doch sie schluckte tapfer und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe.

 

Sie folgten nun einer großen Chaussee nach Osten. Hier waren die Häuser noch einigermaßen intakt. Angstvoll beobachteten ihre Soldaten die gähnenden, ausgebrannten Fensterhöhlen. Überall konnte einer der gefürchteten Heckenschützen lauern. Sie erreichten ein verlassenes Fabrikgelände. Auch hier waren die Zerstörungen massiv. Eingestürzte Hallen, ausgebrannte Gebäude, Fahrzeugwracks. Plötzlich hörten sie eine nahe Explosion. Zuerst dachte sie an Artilleriefeuer, aber dann sah sie, dass in einer Entfernung von ca. 600 m feindliche Soldaten die Ruinen sprengten. Seltsam, dachte sie, warum machen die das? Sie kletterte auf einen verrosteten und verbeulten Kran, um besser sehen zu können. Ihre Leute warteten derweil am Fuße der Gitterkonstruktion. Oben angekommen, sah sie, durch Dunst und Rauch behindert, dass der Feind eine breite Schneise durch die Vorstädte sprengte. Das war sicher eine wichtige Information.

 

Sie wollte schon wieder runterklettern, als sie 100 m vor sich auf dem Boden eine Bewegung wahrnahm. Richtig, Soldaten des Südpakts mit ihren charakteristischen Stahlhelmen und den langen Staubmänteln. Ihre Atemmasken gaben ihrem Aussehen etwas Insektenhaftes. Sie waren vermutlich auch auf Patrouille und bewegten sich genau auf ihren Trupp zu. Als sie hinunterschaute, gefror ihr das Blut in den Adern. Ihre Soldaten hatten sich hingekauert, die Helme abgenommen und tranken jetzt aus ihren Feldflaschen. Wortfetzen und kurzes Auflachen drangen an ihr Ohr. Die feindliche Patrouille musste sie jeden Moment entdecken. Langsam holte sie ihr Sturmgewehr von der Schulter und legte an. Ein Schuss würde ihre Mädels und Jungs schon aufwecken. Allerdings lag sie dann völlig exponiert da. Heftige Zweifel und Angst kämpften mit ihrem Pflichtgefühl. Da zuckte einer der feindlichen Soldaten in ihre Richtung. Sicher hatte er die Stimmen gehört. Sie blickte durchs Zielfernrohr, atmete aus und schoss, wie auf dem Schießstand. Zwei Schuss der Dreiersalve trafen den Soldaten in die Brust und warfen ihn um. Die anderen gingen sofort in Deckung. Ihre Soldaten fielen fast übereinander als sie versuchten in Stellung zu gehen und gleichzeitig ihre Helme aufzusetzen. Sie gab noch eine Dreiersalve ab und kletterte schnell den Kran herunter. Die feindlichen Soldaten entdeckten sie augenblicklich und eröffneten das Feuer. Durch die Gitterkonstruktion zwitscherten Querschläger, doch wundersamer Weise wurde sie nicht getroffen. Die tiefstehende schwache Sonne Meridus hatte die Schützen offensichtlich genügend geblendet. Jetzt fingen ihre Jungs und Mädels endlich zu schießen an. Sie ballerten wild drauf los. Zwar trafen sie außer Steinen nichts, doch zwangen sie die feindlichen Soldaten kurzzeitig in Deckung und sie erreichte unverletzt den Boden.

 

„Weg hier“, schrie sie ihren Männern zu, als sie unten angekommen war „Stellungswechsel!“ Doch es war schon zu spät. Fragmentgranaten kamen durch die Luft geflogen. „Granate!“ schrie sie, „Deckung!“ und warf sich hinter einen großen Betonbrocken. Sie spürte einige Splitter in die Gummisohlen ihrer Kampfstiefel einschlagen, doch sie durchdrangen die Sohlen nicht. Andere ihres Trupps hatten nicht so viel Glück, Mirane und Urri hatten die Granaten mit ihrem Splitterregen getötet, drei ihrer Leute waren durch Splitter verwundet und schrien. „Los, Bewegung, sonst krepieren wir hier alle“, schrie sie und zerrte den an Schulter und Rücken blutenden Joal mit. Ihr Sturmgewehr mit einer Hand haltend, feuerte sie blind in Feindrichtung.

 

Korporal Demez gab ihnen zusammen mit Lisa und Guro Feuerschutz. Sie rannten ca. 30 m zurück und gingen hinter Trümmern in Deckung. Juria, Taon, der ebenfalls verletzte Minol und Ösia gingen in Stellung, während sich Tum um Joal kümmerte. Juria hörte Kirils Soldaten, vor allem das MG, feuern. Dann kamen Kiril und Lisa zurück. Guro hatte es nicht geschafft deutete das Kopfschütteln Kirils an. Die feindliche Patrouille rückte weiter vor. Minol verschoss eine Fragmentrakete und Juria hörte beim Gegner Schreie. Sie sah, dass sich Minols Hosenbein langsam dunkel färbte, doch sie mussten weiter. Ösia nahm Minol den Raketenwerfer ab und sie ließen sich wieder 30 m zurückfallen. Lisa und Kiril feuerten wieder bis es eine Explosion gab und das MG abrupt aufhörte zu schießen. Doch es kam noch schlimmer. Juria hörte Kettengeräusche und das dunkle Brummen eines schweren Motors. ‚Die Schweine haben einen Panzer gerufen‘, dachte sie, „Minol, Achtung, Panzer!“ Minol ging hinter einem ausgebrannten Lkw in Stellung, ließ sich von Ösia den Raketenwerfer geben und wartete. Tum versuchte derweil sein Bein zu untersuchen, doch Minol scheuchte ihn weg. Kiril kam geduckt angerannt, ließ sich neben ihr in den Dreck fallen und keuchte „Diese Schweine haben einen Panzer.“ Er versuchte krampfhaft Luft durch seine Atemmaske zu saugen, sein Atem ging stoßweise. Dann sah Juria, dass er am linken Oberarm getroffen worden war, ein glatter Durchschuss. Sie winkte Tum heran. Die feindliche Infanterie tauchte auf. Unmittelbar hinter ihr folgte ein Molester-Panzer. Seine beiden Türme waren mit schweren Boltern bestückt und schwenkten hin und her. Im Bug hatte er noch eine leichte Autokanone. Juria schrie „Feuer“ und ihr Trupp legte Sperrfeuer auf den heranrückenden Feind. Die ersten Infanteristen riss es von den Füßen und Minols Rakete fauchte los. Sie traf den rechten Turm des Panzers, der sich daraufhin nicht mehr drehte. Der andere Turm feuerte jedoch zurück. Raketenbetriebene Sprenggeschosse hämmerten durch ihre Stellung. Tum riss es komplett den Kopf ab. Sein Blut bespritzte Kiril und Juria. Die Autokanone des Panzers erwischte Minol und Ösia, die gerade versuchte, den Werfer nachzuladen. „Weg hier!“ schrie Juria, sprang auf, zerrte Joal hoch und rannte Taon und Kiril hinter her. Nach wenigen Schritten zuckte Joal zusammen und entglitt ihren Händen. Er fiel auf den Bauch, zwei frische Einschusslöcher im Rücken. Juria drehte sich wutschreiend um, riss ihr Sturmgewehr hoch und jagte Joals Mörder eine volle Salve in den Leib. Der Mann riss die Arme hoch und fiel. Ein zweiter Südpaktarmist tauchte auf. Juria schaltete auf Dreiersalve und erschoss auch ihn. Dann rumpelte der Panzer in ihr Blickfeld und sie rannte zickzack hinter ihrem Trupp her. Die Autokanone und der Bolter legten los und an ihrem Kopf zischten die Geschosse vorbei. 20 m vor ihr wurde Kiril von einem Boltgeschoss in den Rücken getroffen und fiel. Taon und sie rannten durch ein halbverfallenes Hub und konnten so zumindest den Panzer für kurze Zeit abschütteln.

 

Doch auch die Fußtruppen gaben offensichtlich die Verfolgung auf. Sie rannten noch eine Weile bis sie sich ausruhen mussten. In dieser Zeit beobachtete Juria das Gelände genau und sah keine Hinweise auf eine weitere Verfolgung. Taon schüttelte sie heftig an der Schulter. Langsam kam sie wieder zu sich. „Ja?“ Zaon sah sie intensiv an. „Wir müssen zurück, Feldmeister, hier können wir nicht bleiben.“ Juria starrte Taon an. „Ja.“ sagte sie und trottete wie betäubt hinter Taon her. Als sie den Kompaniestützpunkt erreichten, unterschieden sie sich durch nichts von den „alten“ Angehörigen der Kompanie.